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Kapitänleutnant Gunther Plüschow entkam nach
der Kapitulation von Tsingtau im Jahre 1914 mit unglaublicher
Kühnheit mit seinem Flugzeug nach Japan und von dort über
Nordamerika nach Gibraltar, wo er in englische Gefangenschaft
geriet, floh und als blinder Passagier über Holland in die
Heimat zurückkehrte. Nach dem Krieg fuhr er mit dem Viermaster
"Parma" um Kap Horn nach Patagonien und Chile. Zusammen
mit seinem Flugingenieur Ernst Dreblow überflog Plüschow als
erster die Darwin-Kordillere, Kap Horn und die Torres del Paine.
Er kam 1931 bei einem Flugzeugabsturz am Brazo Rico ums Leben. Bild links: Der Silberkondor nach beendetem
Flug am Lago Sarmiento
Bild oben links: Notlandung am Agostini-Fjord
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Episode aus: Silberkondor
über Feuerland
"Sie, Dreblow, ob unser Zelt wohl hält? Mensch, hören Sie den Sturm
und diesen Regen?"
Es ist stockdunkle Nacht, wir liegen nun schon drei
volle Wochen in unserm "Campamento", fast immer im
Sturm und im Regen. Die Pampa, die sonst um diese Zeit verdorrt
und verdurstet, ist in einen Morast verwandelt. Die Berge liegen
heute schon (und wir haben erst Anfang April, also eben erst
Herbstanfang für hier) bis zu fünfhundert Meter herab tief im
Schnee, der doch normalerweise immer erst im Juli kommt. Nach
meinem Barografen schaue ich gar nicht mehr, der ist zum
tanzenden Toren geworden. Ob der etwa dies Wetter macht?!
Die Zeltwände schlagen, als "killten"
Segel der "Feuerland", der Regen drischt darauf wie
Trommelwirbel. Wenn uns das Zelt über dem Kopf weg fortgerissen
würde, was dann?
Wir liegen wie Tote auf unsern steinharten,
gefrorenen Schaffellen, durch die die Bodenkälte unheimlich bis
in unsere Körper dringt. Wir haben alles angezogen, was wir
besitzen und auch zum Fliegen anziehen - was allerdings nicht
sehr viel ist -, nur die dicken Polarpelzhandschuhe haben wir uns
statt über die Hände über die Füße gezogen. Gott sei Dank
hat die rührend um uns besorgte Pampafrau noch ein paar
Wolldecken herausgesandt, wir würden sonst glatt erfrieren. Wir
können ja auch unmöglich so abgehärtet sein wie die wilden
Pampareiter, die seit Kindheit nichts anderes als diese Zelte und
dies Leben auf Schaffellen kennen.
Zweimal bin ich schon wieder geflogen und habe
versucht, den Cerro Paine zu bezwingen. Nach Stunden, fast
erfroren, habe ich immer wieder umkehren müssen. Entweder waren
die Fallböen zu schwer, und ich konnte das Flugzeug nicht mehr
bei der Kälte halten, oder der Berg bezog sich im letzten
Augenblick, oder unser verflixter Wassersammler leckte mal
wieder, und wir mußten abbrechen.
Seitdem liegen wir in unserm Zelt und hoffen auf
besseres Wetter.
Der gute Narziß sorgt treu und brav für uns. Alle
drei, vier Tage kommt ein Reiter von der Farm, ab und zu auch
eine Karrete, von der ich nicht weiß, wie sie sich bei den
Überschwemmungen, zu Sümpfen gewordenen Wegen, grundloser
Pampa, zu uns hier draußen durchschlagen. Sie bringen einen
geschlachteten Hammel und etwas Brot. Das ist unsere Nahrung.
Schon frühmorgens steckt Narziß seinen Kopf ins
Zelt und hält den Eisenspieß vor uns hin. Bei diesem
köstlichen Duft erwachen die Lebensgeister immer wieder, schnell
sind ein paar leere Benzinlatas im Zelt oder, wenn es nicht
regnet, draußen aufgebaut, und nun sitzen wir im Kreise, der
Spieß steckt vor uns im Boden, jeder langt selbstverständlich
nach seinem Hüft- oder Taschenmesser, und mit Behagen werden
Riesenstücke Braten abgesäbelt und vertilgt, daß der schöne
Saft nur so die Münder und die vom lieben Gott verliehenen
fünfzinkigen Naturgabeln herunterläuft.
Dreimal am Tage gibt es eine Mahlzeit, dreimal am
Tage - Hammel am Spieß! Doch der Cerro Paine liegt noch immer
unbesiegt in unserm Rücken!
"Herr Kapitän, das Barometer steigt senkrecht
nach oben, der Himmel ist klar, ich glaube, heute können wir
los!"
Ich rappele mich aus meinen Decken, renne mit den
Pelzhandschuhen an den Füßen aus dem Zelt, trete draußen auf
klirrendes Eis, sehe im Osten eben ein fahles Licht aufdämmern
und im Rücken die Gipfel des Paine scharf und klar am Horizont.
Seit Wochen endlich zum ersten Male wieder. Dreblow ist längst
davon und zieht bereits die Bezüge von unserm Vogel, der
frierend in der eisigen Kälte im ebenso kalten Wasser liegt,
jedes Wetter muß er schutzlos über sich ergehen lassen. Narziß
ist schon von rotem Feuerschein umlodert, der Spieß steckt neben
dem Feuer im Boden, das Hammelfleisch bräunt sich bereits - mach
es gut, braver Narziß, wenn wir siegreich zurückkehren, wollen
wir dein Werk vertilgen helfen!
Ihr guten braven Monteure in der Heimat, ihr habt ja
alle mal draußen im Felde oder sonst irgendwo einen eiskalten
Motor andrehen müssen, ihr wißt was das heißt, wie man mehr
und mehr schwitzt, je kälter der Motor bleibt, wie man völlig
von Kräften, völlig ermattet sich neben das Flugzeug setzt, als
käme man von einem schweren Boxkampf, bis dann endlich das
Ungetüm - meist dann, wenn man es nicht vermutet - anspringt und
im selben Augenblick alle Mühe vergessen ist! Dies liebliche
Spiel kennen wir seit Monaten. Ich muß sagen, daß wir beide
hier jedesmal völlig erledigt sind und uns erst mal etwas
ausruhen müssen, bevor wir, selbstverständlich noch völlig
naßgeschwitzt, abfliegen und uns in die eisigen Höhen
hinaufschwingen.
Im Osten geht der erste rosige Schein über die
Pampa, zu unseren Füßen ist jede Pfütze vereist, der Schnee
liegt nun schon wie eine dichte weiße Decke bis zu dreihundert
Meter Höhe herab.
Der Lago Sarmiento liegt noch wie ein Spiegel da,
wie die himmlische Gralsburg spiegelt sich darin der Cerro Paine.
Da zerreißt das Brüllen des angesprungenen
Flugmotors die eisige Stille, übertönt das Grollen und Donnern
der ewig abstürzenden Eis- und Steinlawinen des Cerro Paine.
Unaufhörlich nagt die Natur selbst an diesem Riesenbau.
Ein riesiger japanischer Lampion erscheint über der
Kimm - der feuerrote Sonnenball. Ich starte direkt in die Sonne
hinein, wir sind rot übergossen von diesem Licht, die
Silberschwingen leuchten blutrot auf, im Augenblick wo sich der
Unterrand der Sonnenscheibe von der Pampa löst, heben wir uns
mit den Schwimmern vom Wasser ab, nun steigen wir beide - Sonne
und Flugzeug - in den blauen Äther.
Was der Motor nur hergeben kann, muß heute wieder
mal heraus, die Maschine ist wie immer unheimlich schwer geladen
und ausgerüstet, im großen Bogen umkreise ich den Südostteil
des Lago Sarmiento, langsam aber sicher steigt der Zeiger meines
Höhenmessers.
Die Luft ist bis jetzt noch verhältnismäßig
ruhig, ab und zu fegen schwere Böen über den See, die üblichen
Morgenwinde, uns zur Genüge bekannt. In ohnmächtiger Wut zerren
sie an unserer guten Maschine.
Die Kälte ist außerordentlich groß und nimmt mit
jeden hundert Metern noch zu. Sie setzt uns am allerschwersten
zu. Gottlob haben wir unsere Polarpelzhandschuhe an, auch sonst
sind wir vom Kopf bis zu den Hüften einigermaßen warm und dick
angezogen. Viel ist es ja nicht mehr, was wir nach jetzt bald
zwei Jahren, die wir unterwegs sind, besitzen. Ganz bös sieht es
aber mit unseren Beinen und namentlich den Füßen aus.
Pelzstiefel haben wir leider nicht mit, zwei Paar Strümpfe, von
denen bei uns beiden merkwürdigerweise das eine Paar keine
Zehen, das andere Riesenlöcher statt der Hacken hat, sind unser
ganzer stolzer Besitz, dazu zwei Unterhosen, das muß reichen.
Dabei muß ich mit Beinen und Füßen das
Seitensteuer bedienen. Die Kälte ist so groß., daß schon nach
einer Stunde kein Gefühl mehr in ihnen ist und ich sehr oft
herunterschaue, um festzustellen, ob sie auch tatsächlich die
Bewegungen ausführen, die mein in der großen Höhe und Kälte
müde werdendes Gehirn befiehlt.
Und wenn ich schon so friere, wie mag es da erst
meinem Begleiter Dreblow gehen, bei dem es ja auf seinem hinteren
Sitz viel mehr ,,zieht" als bei mir, der dann noch zum
Fotografieren, zu den Kinoaufnahmen seine Handschuhe ausziehen
und sich weit aus dem Sitz in den eisigen Propellerwind
hinausbeugen muß!
Wir haben sicher bis zu minus fünfunddreißig Grad
Celsius in dieser lieblichen "Herbstluft" hier oben!
Ich schaue auf meinen Höhenmesser, er zeigt
dreitausend Meter. Wir klettern nun schon bald eine Stunde mit
der Sonne um die Wette, der Rundblick hat sich für uns ins
Riesenhafte erweitert, wie ein aufgeschlagenes Buch liegt das
Land zu unseren Füßen.
"Unser" Lago Sarmiento, der, viele Dutzend
Kilometer lang, eingezwängt ist zwischen dem Paine-Stock, dem
Cerro Toro, der Hochkordillere und der meerweiten Pampa im Osten,
liegt noch verhältnismäßig ruhig da. Wie ein Spiegel fast.
Doch dort, wo der Paine im Norden und der Toro im Süden mit
ihren höchsten Gipfeln fast eine Linie bilden, ist der See, in
einer scharf nach den spiegelglatten Seiten abgegrenzten Breite
von rund zehn Kilometern, wie von Geisterhand aufgewühlt. Dort
scheint er zu kochen und zu brodeln, in langen Zügen rollen die
weißköpfigen Wogen quer über den See und brechen sich am Ufer
des Cerro Toro. Ja es scheint, als ob hier in diesem Streifen das
Wasser von der Oberfläche direkt emporgerissen, in Wirbeln im
Kreise gedreht und zu Dunstwolken zerstäubt würde.
Um dieses Gebiet, in das ich einmal ahnungslos
hineingeriet, bin ich immer im Bogen herumgegangen. Heute aber
reizt es mich, es nochmals auszuprobieren. Ich bin jetzt schon
dreitausendfünfhundert Meter hoch, was soll mir da noch groß
passieren!
Ich drehe mich zu Dreblow um, deute nach vorne, er
schnallt sich fest. Leise fängt nun das bisher ruhige Flugzeug
an zu torkeln, langsam schiebt sich unter uns die aufgewühlte
Wasserlinie auf uns zu.
Und plötzlich sind wir mitten drin in der Hölle.
Die unsichtbare Geisterhand packt das Flugzeug,
zerrt und rüttelt, stößt und schiebt. Gut, daß wir so sicher
auf unseren Sitzen festgeschnallt sind.
Mit aller Kraft muß ich arbeiten, damit das
Flugzeug nicht im Kreise gedreht wird. Ich schaue ab und zu auf
die Füße, ob sie auch noch das Seitensteuer bedienen, trotzdem
sie längst Eisblöcke sind.
Nun werden wir mit plötzlicher Gewalt auf unsere
Sitze gepreßt, ich fühle direkt, wie das Flugzeug gehoben,
emporgerissen wird, was uns jetzt gefaßt hat, sind keine Böen
mehr, das sind saugende nach oben gerichtete Luftstrudel.
Mahlströme der Luft, die sich wie unsichtbare Windhosen, wohl
als Luftdruckausgleich, zwischen diesen Gebirgen und der Pampa
bilden.
Ich habe nur noch den einen Gedanken: hoffentlich
geht es auf der anderen Seite nicht wieder runter!
Wie lange dieser Zustand gedauert hat, kann ich
nicht sagen. Ich habe ja mit meiner Maschine genug zu tun, um sie
in der Luft zu halten, vielleicht waren es nur Sekunden, aber in
solchen Lagen merkt man erst, wie lang eigentlich eine Sekunde
ist.
Plötzlich ist der Zug nach oben vorüber, das
Flugzeug liegt wunderbar ruhig in der Luft, das Geistergebiet ist
hinter uns, der Höhenmesser zeigt über viertausend Meter!
Da werfe ich mein Flugzeug rum, ich weiß, der Cerro
Paine hat sich ergeben!
Wir sind nun direkt über dem Paine selbst!
Phantastisch ragen seine Felszacken in den Himmel,
Hunderte von Metern streben sie wie Orgelpfeifen in die Luft,
Eis, Schnee, rötlicher, kahler, senkrechter Fels, Gletscher,
furchtbare Schluchten und Täler und tief, tief unten, wo die
Füße des Riesen in Dutzende von verschiedenfarbigen Seen
tauchen, leuchten herbstlich gefärbte Urwälder. Nach Norden zu
aber, hinter einem breiten, eiserfüllten Tal, beginnt die
Eiszeit selbst.
Dreblow arbeitet hinter mir fieberhaft, wir beide
verspüren keine Kälte mehr, nur unsagbar mühselig wird jede
Bewegung in dieser Höhe und bei der hier oben sicher an minus
vierzig Grad Celsius heranreichenden Temperatur.
Nach allen Richtungen umkreise ich den ganzen
Paine-Gebirgsstock, bis fast zum Balmaceda geht's südwärts,
dann über den Lago Gray mit seinen schwimmenden Eisblöcken,
über riesenhafte Gletscher hinweg, östlich bis fast zum großen
Lago Argentino, der halb zu Chile, halb zu Argentinien gehört.
Ich winke Dreblow zu, sich mit den Aufnahmen zu beeilen, das
Benzin geht auf die Neige, mir wird eigenartig müde im Schädel,
die Kälte frißt mir fast die Beine auf.
Da ist Dreblow fertig. Ich fühle, wie auch er vor
Kälte zittert. Nun stelle ich langsam den Motor ab, über dem
Paine zieht sich bereits ein neues Unwetter zusammen. Vielleicht
ist er ärgerlich, daß er heute, nachdem er Jahrmillionen so
trotzig dagestanden hat, von winzigen Menschen auf gebrechlicher
Libelle, die vom fernen Deutschland extra dazu gekommen sind,
bezwungen wurde.
Nun wird das Brüllen und Dröhnen des Motors zum
lieblichen Säuseln, die Lebensgeister kehren wieder in uns
zurück, sanft setzt der Bezwinger des trutzigen Paine auf dem
Sarmiento-See wieder auf. Wir liegen gut festgemacht in unserer
kleinen Tsingtau-Bucht.
Als der Sturm von neuem über die Pampa rast und der
Schnee diesmal bis zu unseren Füßen herabfällt, sitzen wir
frohgemut in unserm Zelt. So lange ist selten der herrliche
Bratensaft unsere Finger hinabgelaufen wie an diesem
Fest-Asado-Tage!
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